Die östliche patagonische Steppe ist vor allem eins: leer. Anders als an der Westseite mit der Andenkette, gibt es hier keine Berge, keine Bäume, keine Seen. Nur Variationen von Steppe - flache Büsche, unendliche Kieselfelder, kleine Geröllhügel - soweit das Auge reicht. Die Ruta3 entspringt am einen Horizont, verläuft schnurgerade durch die Bildfläche und verschwindet diffus verschwommen am anderen Horizont wieder. Einzige "Landmarken" sind die Funktürme, diese dünnen rot-weißen Gittermasten, die verstreut in der Landschaft stehen und Kommunikation nach Süden tragen.
Das Wetter ist weiter unberechenbar: Einen Tag stürmt es noch mehr als auf Feuerland und wir lassen extra den Abwassertank voll, um mehr Gewicht auf tiefem Schwerpunkt zu haben. Trotzdem reißt jede Böe Seitenwind an unserem Auto und macht das Fahren zur Schaukelpartie. Nun ist es inzwischen wesentlich freundlicher, sonnig mit bis zu 20 Grad.
Wir besuchen den "Bosques Petrificados" Park: auf einer Hochebene 50km von der nächsten Straße entfernt, liegen versteinerte Baumstämme. Von Bäumen, die vor 150 Mio Jahren hier wuchsen.
Nachts stehen wir ganz allein in dieser Stille, nur ein paar Guanakos, wilde Pferde, Gürteltiere und Nandus streunen durch die Leere. Morgens wachen wir auf, die Sonne strahlt durch die Heckfenster direkt aufs Bett, es herrscht absolute Stille. Kein Lüftchen weht, kein Motorengeräusch, kein Flugzeug, einfach nichts. Paradiesisch und gespenstisch zu gleich.
Im Ort mit dem lustigen Namen "Rada Tilly" stoßen wir wieder auf den Atlantik. Hier wechseln sich Steilküsten mit riesigen, senkrecht abfallenden Landzungen und große Flache Sandbuchten ab. In den Buchten liegt dann häufig eine Ortschaft - leider zumeist geprägt von der Ölindustrie. Überall auf der flachen oder hügeligen Steppe arbeiten mit ihrem langsamen aber unermüdlichen Takt die Ölpumpen.
Wir haben einen Stellplatz mit Strom und Wasser und Internet und anderen Wohnmobil-Campern. Ich glaube, diese Kombination gabs noch nie!
Bei der Weiterfahrt geraten wir in eine Straßenblockade (letztes Wochenende waren Wahlen), es geht um "Bildung für Alle". Jeder Autofahrer der hier hindurch will, ist natürlich auch für "Bildung für alle", daher wäre es wohl sinnvoller, vor dem Parlament zu demonstrieren, statt arme LKW-Fahrer an der Weiterfahrt zu hindern. Aber letztlich wird man nach ein paar Diskussionen dann doch durchgelassen.
Am Gelben hat sich durch die Rüttelfahrten auf Schotter wieder eine Schlauchhalterung gelöst und ist verschwunden. Mit dem Gewindestab eines Seilspanners und zwei Flügelmuttern baue ich ein Provisorium, das fast schöner ist, als das Original (siehe Bild. Und es hält!).
Dann erreichen wir in Punta Tombo eine der größten Pinguin-Kolonien in Südamerika. Tausende Pinguine sitzen allein oder zu zweit in kleinen Erdhöhlen und schlafen oder brüten, andere watscheln neugierig umher. Scheu kennen die komischen Vögel nicht, wenn man wollte (und dürfte), könnte man sie sich einfach unter den Arm klemmen.
Die Península Valdes ist eine große flache Halbinsel, die über eine schmale Landzunge mit dem Festland verbunden ist. Im Innern ist die Insel genauso eintönig mit flacher Steppe bedeckt, wie der Rest des östlichen Patagoniens, doch ein wahres Highlight sind die Küsten der Insel.
Durch einen Tipp anderer Reisender, die wir zuvor trafen (unterwegs im Unimog Expeditionsmobil), finden wir einen Traumstellplatz - Bei Punto Pardelas, über 12km versteckte Schotterpiste erreichbar, stehen wir in einer weiten Bucht auf einem riesigen waagerechten Felsplateau, das genau bis ans Wasser reicht. Direkt hinter uns beginnt das Meer, bei Flut 50cm unter uns, bei Ebbe 5 Meter unter uns. Dazu herrscht Sonnenschein bei 28 Grad. Wir treffen weitere Traveller (ein Paar hatten wir schon in Cusco, vor über 10.000km getroffen, zwei Paare sind mit VW T3 Bussen unterwegs, eine Franzosenfamilie im Groß-WoMo, zwei Belgier im Allrad-Iveco, Schweizer mit 4x4 Mercedes-Truck und ein deutsches Paar mit MAN Kat Riesentruck) und richten uns in einer kleinen eingeschworenen Wagenburg-Gemeinschaft ein. Das Magische: Direkt vor unseren Augen ziehen in der Bucht Wale vorbei, wir können sogar aus unserem Bett heraus beobachten, wie sie springen! Auch tagsüber ist es ganz still in der Bucht und man hört regelmäßig das Ausblasen der Wale aus ihrem Atemloch. Hier bleiben wir länger als geplant und genießen dieses Paradies. Tisch und Stühle werden nach draußen geholt, Lesen, Wale beobachten, den Sonnenuntergang bewundern...
Jonas knüpft schnell Vertrauen zu den anderen Reisenden und zerrt diese zu Strandwanderungen, so dass wir sogar kinderfreie Zeiten haben. Wenn er die Namen nicht kennt, sagt er "hey, Frau, komm mit!"
An einem anderen Strandabschnitt liegt ein großer toter Wal. Interessant anzusehen, allerdings sollte man sich keinesfalls in die Windrichtung des Kadavers stellen, denn tonnenweise verwesendes Fleisch riecht wirklich extrem penetrant.
An der gegenüberliegenden Nordost-Küste der Insel soll es mit etwas Glück Orcas geben. Aber nur morgens und nur bei Flut. Also fahren wir nachmittags dorthin, übernachten auf einem kleinen Parkplatz und sind früh morgens (es ist Flut...) die einzigen an der Nordküste. Über eine Stunde stehen wir im frischen Morgenwind und sehen jede Menge Seelöwen und See-Elefanten, aber keine Orcas. Doch dann: Eine Schule von fünf oder sechs mächtigen Tieren taucht direkt am Strand auf, gerade noch so tief im Wasser, dass sie schwimmen können, aber mit den riesigen schwarzen Rückenflossen und der Häfte des schwarz-weißen Körpers über Wasser. Sie schwimmen an der Küste entlang auf der Suche nach unvorsichtigen Seelöwen-Jungen... Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis.
Wir sehen aber auch an Land noch Tiere, unter anderem eine Schlange, die wir für tot halten, die sich dann aber plötzlich bewegt, als ich sie vor ihr kauernd aus nächster Nähe fotografiere; ein Keks-essendes Gürteltier; eine Vogelspinne; flüchtende Nandus; sich umarmende Geckos und einen Pampashasen, der sich mit unserem Auto ein Wettrennen liefert und es auf 60kmh bringt.
Zwischen Valdés und Gualeguaychú
Immer nordwärts folgen wir weiter der Ruta3 und die patagonische karge Steppe geht allmählich in grüneres Grasland über, es stehen auch hier und da wieder Bäume und man sieht wieder Kühe und Pferde grasen.
Die RN3 verläuft zumeist 50 bis 70 Kilometer von der Küste entfernt, so dass man jeweils längere Abstecher in die Küstenorte machen muss. Viele von diesen sind großenteils Ferienhaussiedlungen, die entsprechend ausgestorben wirken. Auch unsere Liste ungewöhnlicher Stellplätze können wir ergänzen: In El Condor an der Steilküste nisten 35.000 grüne Papageien in den Felsspalten und wenn sie im Kollektiv in der Abenddämmerung zur Futtersuche starten, fliegen unendliche Scharen mit lautem Gezwitscher genau über unseren Stellplatz. Da lohnen sich die Dachfenster. Am nächsten Tag liegt eine merkwürdige kirchliche Anlage am Wegesrand: eine riesige Kapelle, ein sozialistisch anmutendes (Bibel-Lern-?) Hotel, eine Kirchenschule und: ein dazugehöriger, aber geschlossener Campingplatz. Der Platzwart öffnet dann extra für uns - vielleicht half unsere kleine Glücks-Maria, die seit Beginn unserer Reise am Rückspiegel hängt. Nun können wir "exklusiv" am idyllischen Rio Colorado rasten.
In dieser Region kommt uns auch die Karawane an deutschen und schweizerischen Wohnmobilen der geführten Panamericana-Reise der Seabridge GmbH entgegen. Wir hatten schon mit ihr gerechnet, denn wir wussten, dass das Schiff mit den Mobilen vor wenigen Tagen in Montevideo angekommen war. Nur scheinen die Fahrer noch etwas unentspannt im südamerikanischen Straßenverkehr - von 14 WoMos, denen wir freundlich zuwinken, schafft es nur ein einziger, auch freundlich zurückzuwinken (und das bei unserer ein-Meter-großen "Alemania"-Aufschrift). Dennoch: Gute Fahrt und tolle Erlebnisse!
Einen Tag später übernachten wir in einem Eukalyptuswald und hören mitten in der Nacht plötzlich ein unregelmäßiges, nicht endendes Klopfen. Mal hinten am Auto, mal rechts, mal links. Ist ein hilflos hüpfender Frosch im Auto? Ein Blick in die Dunkelheit: Nichts zu sehen. Dann im Schein der Taschenlampe: Fledermäuse fliegen todesmutig von allen Seiten gegen unser Auto. Ob sie uns vertreiben wollten oder das Gelb des Autos so anziehend fanden, wir wissen es nicht.
Die Temperaturen sind in den letzten Tagen übrigens unaufhörlich gestiegen, bei über 30 Grad und ohne eine einzige Wolke könnte man sich fast schon über "Hitze" beschweren...
Dann kommen wir allmählich wieder in den Bannkreis der Hauptstadt Buenos Aires. Doch wir umfahren diese galant und übernachten ein weiteres Mal nördlich am Rio Parana, dort wo wir vor fünf Monaten die allererste Nacht im Gelben verbracht hatten. Dazwischen liegen 25.866 Kilometer Südamerikareise.
Dann folgen wir dem Rio Uruguay bis Gualeguaychú, der Grenzstadt zu Uruguay. Hochsommer und Wochenende: Jeder, der kann, steht am Fluss und angelt, grillt, reitet mit dem Pferd vorbei oder spielt Gitarre.