Wir wussten, "schnell und unbürokratisch" kommen wir bestimmt nicht über die Grenze und im Endeffekt war das Procedere genauso langwierig, unsinnig und bürokratisch, wie es schon in diversen Foren zu lesen ist. Trotzdem fällt es dann trotz Vorwissen doch schwer, das Ganze mitzuerleben und Ruhig zu bleiben... An die fünf Stunden mussten wir auf 3.500m im Freien bei ca 5 Grad und Sturm vor den Schaltern warten (das sind winzige Häuschen, der Publikumsverkehr bleibt schön draußen).
Zunächst den Ausreisestempel von Argentinien bekommen, dann zum Zoll, um das Auto "abzumelden". Wir haben Wartemarke 24, an der Reihe ist Nummer 9 (10:00h morgens). Zwischendurch ist der einzige Beamte an diesem "wichtigsten Grenzübergang zwischen Argentinien und Bolivien" über eine Stunde verschwunden - es nützt nichts, man muss warten. Dann noch den Einreisestempel von Bolivien ergattern und dann dort das Auto wieder anmelden. Die Grenzbeamten sind betont langsam und unwillig (Neben ihnen ein Plakat: "Aduana - Effencia y Transparencia". Ich nehme an, ein subtiler Joke). Um 14:30h haben wir alle Papiere, fahren jetzt allerdings (laut Eintragungen des bolivianischen Beamten) einen Mitsubishi, weiß, Bj. 2009, obwohl unser Auto (Renault, gelb, Bj. 2006) direkt vor dem Fenster des Beamten stand und er unseren spanischsprachigen internationalen Zulassungsschein vorliegen hatte.
Naja, Hauptsache da sind viele bunte Stempel drauf. Bei den darauffolgenden vier Kontrollen interessierte sich niemand für die Fehler.
Ansonsten zeichnet sich die Grenze übrigens durch ameisenhaftes Treiben aus, Herrscharen von Trägern mit Schubkarren bringen hochgestapelte Kartons mit Gütern aller Art im Laufschritt von Argentinien nach Bolivien und umgekehrt. Des Rätsels Lösung: LKWs müssen ihr Fracht verzollen, Fußgänger ihre Waren aber nicht. Also werden ganze LKWs entladen, die Waren per Hand rübergetragen, der LKW fährt leer rüber und wird dann wieder beladen. Verrückt, aber wahr.
Nach der Grenze verlassen wir das bolivianische Grenzstädtchen Villazon, denn auch hier tobt der Sandsturm. Wir tauschen schnell etwas Geld und schon geht es auf der Panamericana nach Tupiza (Richtung Uyuni Salzsee). Unser Navi, für das ich mir noch über diverse Umwege eigentlich nicht existente Karten Südamerikas besorgt hatte, kennt sogar den Stadtplan von Villazon. - So finden wir trotz Staubsturm schnell heraus.
Wir fahren nun auf einer Hochebene von 2.900-3.500m, eine sehr karge Landschaft. Ab und zu steht eine alte Frau mit bunten Umhängen und Bolivianer-Hut an der Straße (keine Folklore, Realität) und hütet Ziegen oder Lamas.
Auch dem Auto macht die Höhe zu schaffen. Es macht ohne Murren mit, aber man merkt deutlich den Leistungsverlust durch die Höhenluft. Unter 2.500 Umdrehungen nimmt es überhaupt kein Gas an, so muss ich oft in den Dritten und Zweiten zurückschalten. Hinzukommt, dass es hier verschiedene Qualitäten Diesel gibt, aber an den Tankstellen nicht immer alles verfügbar ist, so dass man tanken muss, was gerade da ist.
Tupiza ist ein sehr nettes Örtchen mit reichlichem Angebot an Jeep- Pferde- oder Bustouren in die beeindruckende Landschaft ringsrum. Nach den Grenzstrapazen buchen wir uns spontan im Hotel ein und gönnen dem Gelben eine Pause im Hotelhof. Es gibt sogar einen Pool, Jonas ist begeistert. Einziges Manko: Das Hotel hat - wie alle Häuser hier - keine Heizung und nachts sind es um die Null Grad. Drei Decken helfen.
Dann machen wir eine Jeeptour und entdecken die tollsten Felsformationen, Farbspiele, einsame Siedlungen und ausgetrocknete Flussläufe.
Fun-Fact am Rande: Unabhängig von seinem Namen hat das kleine Örtchen Tupiza an mindestens sechs Ecken eine "Pizzaria", die alle jeweils genau gleich mit urigem Bambus- und Kaktus-Holz-Möbeln ausgestattet sind. Am zweiten Tag haben wir festgestellt, dass sogar die Speisekarten ganz genau identisch sind und die Bedienungen in allen Restaurants die gleichen rosa Trainingsanzüge tragen. Es muss sich um ein Kartell handeln ;-) Und noch was: Merke: bestelle kein bolivianisches Huari-Bier! Auf dem Etikett steht zwar "Alemania Style", aber es schmeckt wie deutsches Abwasser. Höchstens.
Umso exotischer Bolivien auf uns wirkt, umso exotischer wirken auch wir auf die Bewohner. Besonders Jonas ist immer ein Highlight, wird angesprochen, gestreichelt und fotografiert. Er fühlt sich geschmeichelt und hat auch schon das ein oder andere mal "la quenta" bei der netten Kellnerin bestellt oder "Olá" oder "Ciao" erwidert.
Dann brechen wir auf von Tupiza nach nord-ost, nach Uyuni, der Stadt am großen Salzsee. 200km Schotterstraße liegen vor uns. Direkt nach dem Ortsausgang von Tupiza gehts dann auch links in die "Botanik". Eine äußerst schlechte Straße aus Fels, Schotter, einigen Flußdurchfahrten, steilen Engstellen und jeder Menge Staub. Jedesmal wenn man sich gerade über 50 Meter ohne kurve und Steigung freut, schütteln die Wellblech-Bodenwellen das Auto und uns aufs heftigste durch. Der Tag entwickelt sich zu einem Extremtest für Mensch und Maschine (seid ihr schon mal 200km im ersten und zweiten Gang gefahren?). Wegen der Lautstärke durch die Vibrationen ist an Unterhaltungen nicht zu denken. Durch die Höhe nimmt das Auto schlecht Gas an, mit zunehmender Höhe (wir sind nun auf 4.200m) lassen durch die Vibration, die Kälte und die dünne Luft auch noch die Bremsen nach - sympathisch auf einer Passstraße... Unterwegs passieren wir mitten im Nirgendwo zwischen den Bergen Orte, die weder im Navi noch in der gedruckten Karte verzeichnet sind. Armseelige Minensiedlungen. Nach viereinhalb Stunden haben wir erst 100km geschafft. Dann kommt uns eine andere Traveller-Familie entgegen und berichtet, dass die Straße 25km weiter durch die Sandstürme der letzten Tage unpassierbar ist (sie hatten sich festgefahren und mussten dort in ihrem Minibus zu viert auf der versandeten Piste übernachten, bis ein LKW sie geborgen hat). Es gibt keine Alternative, wir müssen umkehren und die 100km des grauens zurückfahren. Die Stimmung ist am Boden. Nun haben wir auch noch die Uhr im Nacken, denn um 18:30h ist es dunkel und dann wollen wir unbedingt von der Piste sein.
Auf dem Rückweg steht plötzlich im Nichts an dem sich entlos windenden Weg (wie kommen Menschen unmotorisiert hier her? Ein Rätsel) ein wild winkender bolivianischer Bauer, wie er im Buche steht: Runder Bowler-Hut, Kokablätter in der Backentasche, schwarz verfärbte Lippen, sein Bündel gewickelt in bunte Decken. Wir halten an, vielleicht gibt es ja wichtige Infos. Aber nein, er möchte mit. Seine einmalige Gelegenheit, "schnell" (25kmh, 2. Gang) nach Tupiza zu kommen. Natürlich können wir nicht ablehnen und schon haben wir für die nächsten Stunden der Rüttelfahrt einen schweigsamen Boliviano hinten drin. Er ist so leise, dass Steffi schon vergisst, dass er an Bord ist und vorschlägt, wir könnten ja an der Route übernachten, wenn wir es nicht bis Sonnenuntergang schaffen. Ich ergänze nur "gut, dass wir ein Gästebett haben"...
Zuguterletzt schaffen wir es gerade so bis zur Dämmerung zurück nach Tupiza. Der Boliviano taut nun auf und verabschiedet sich überschwänglich (und irgendwie hastig, an der Polizeikontrolle beim Ortseingang). Nach 9 Std. sind wir keinen Meter näher am Salzsee, aber völlig fertig.
Am nächsten Tag ein kurzer Check, dann starten wir auf der viel längeren (3 Tage statt 1 Tag), aber gerüchteweise besseren Route über Tarija/Potosi. Die ersten 70km sind wiederum Schotterpiste, allerdings besser als gestern (ja, es gibt da feine Unterschiede). Die Straße schlängelt sich an einem Steilabhang herunter und dann wieder hoch, sie dürfte dem "Camino de la Muerte" im Norden Boliviens in nichts nachstehen. Ich genieße die spektakuläre Route, Steffi krallt sich in den Sitz. irgendwann am Horizont eine riesige, breite, spiegelglatte, neue Asphaltstrasse. Eine Fata Morgana? Leider ja: Die Strecke ist im Bau und wir müssen wie zur Bestrafung auf Schotter neben der nagelneuen Piste fahren. Nachmittags suchen wir uns einen Stellplatz, wobei die Aufgabe auch lauten könnte "stell dir vor, du bist auf dem Mond, such ein nettes Eckchen, vielleicht mit Bäumen oder einem Fluss oder einer Nische". Es gibt hier nichts außer Steinen und so campieren wir schließlich neben der Landstraße hinter einem Geröllwall. Jonas macht es Spaß, er ist ja professioneller Steinesammler.
In dieser Nacht ist unsere erste Gasflasche leer, es wird frisch im Gelbem (6 Grad drinnen, -4 draußen).
Dann gehts weiter nach Potosi. Tatsächlich 300km feinster Asphalt. Welch ein Luxus.
Potosi war einst Silberhauptstadt der Welt und wichtige Finanzquelle des spanischen Reiches. Von den 46.000t geförderten Silbers ist in der Stadt ganz offensichtlich kein Gramm hängengeblieben, blanke Armut (hier setzen sich die Menschen fürs "Geschäft" in den Straßengraben) und ein komplett umgegrabener Hausberg Cerro Rico schmückt die Szenerie. Nur in der Innenstadt gibt es ein paar nette, koloniale Plätzchen. Die engen Gassen sind aber selbst mit unserem kompakten Mobil teilweise nicht befahrbar. Noch heute arbeiten am Cerro Rico die Bewohner, inklusive Kindern ohne jegliche Ausrüstung in den Minen. Der erste Satz zu Potosi im "Lonely Planet" lautet "Potosi schockiert" und genau so ist es. Wir stehen über Nacht an einer Tankstelle und haben Teil an dem regen Tankverkehr der LKWs über die ganze Nacht. Am nächsten Tag durchfahren wir die "höchste Stadt der Welt " (4.200., Unesco Welterbe) und das bedeutet ein auf- und ab in engsten Gässchen und das mit dem großen Gelben.
Es gibt übrigens einen öffentlichen Minenarbeiter-Markt auf dem man ganz legal Dynamitstangen kaufen kann - wir haben nach kurzer Überlegung auf den Erwerb verzichtet :-)
Bolivien insgesamt ist wirklich speziell. Exotisch und farbenfroh, mit den Bilderbuchmotiven aus 5000er Bergen, Lamaherden und Menschen mit bunten Umhängen und runden Hüten. Mit 35 Grad Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht, mit unendlichen Weiten im Altiplano. In jedem zweiten Dorf steht ein Schild der EU über Förderprojekte zu Schulspeisung, Trinkwasser oder Ackerbau.
Auf der anderen Seite herrscht eine irritierende Eigensinnigkeit (Ausländer bezahlen durch eine staatliche Inländer-Subventionierung den dreifachen Preis an der Tankstelle, einige Tankstellen verkaufen aber auch gar nicht an Ausländer), manchmal wird man auf simple, höfliche Fragen mit einem einfachen "no" abgewiesen. Ein ganz anderes Volk in einer ganz anderen Welt
Uyuni selbst ist der Ort (20.000EW) am Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Welt. Ein staubiges, trotz der Touristen armes Nest.
Hier trifft man Backpacker aus aller Welt und es gibt eine nette Plaza, auf der man Essen kann, Reisende trifft und ein Bier genießen kann (tags 30 Grad, nach Sonnenuntergang um 18:30h geht das Thermometer rapide nach unten).
Dann der Salzsee: Nach 20km ist man direkt auf dem Salz. Unendliche Weiten an einer planen weißen Fläche, durchsetzt mit den achteckigen Mustern der Salzplatten. Surreale Welt. Die Häuser des Ortes nur noch Punkte am Horizont. Schon nach ein paar Minuten Fahren hat man keinen Bezug mehr zur Entfernung. Wir drehen unsere Runden auf der Fläche, fahren ein paar Kilometer und wundern uns, wie lange es dauert, den Fata-Morgana-artig ständig sichtbaren Rand dann wieder zu erreichen.
Sogar Linienbusse überqueren diesen hunderte Kilometer großen Salzsee.
Am Rand gibt es Geysiere, die blubernd grünes und braunes Wasser in kleine Tümpel auf der weißen Fläche sprühen. Ein berauschendes Fotomotiv.
Bilder sagen mehr als 1.000 Worte:
Und dann gibt es da noch den "Friedhof der Dampflokomotiven". Das abgebaute Salz wurde mit einer Herrschar an Zügen abtransportiert und ausgemusterte Loks hat man hier für immer geparkt.
Noch heute fahren übrigens Schmalspurzüge durch diese Wüste.
Auf dem Weg Richtung La Paz finden wir den tollen Nacht-Stellplatz "Ocho del Inca": Ein kreisrunder Kratersee aus dessen Mitte beständig 35 Grad warmes Wasser sprudelt. Tagsüber nehmen wir - und einige Einheimische - ein Bad, nachts stehen wir ganz alleine und bestaunen den dampfenden See im Mondschein.
Das nachsprudelnde Wasser wird übrigens nach folgendem einleuchtenden Prinzip in Becken geleitet und mehrfach genutzt: 1. See für Schwimmer, 2. Becken für Nichtschwimmer, 3. Becken zum Wäschewaschen. So sind alle versorgt.
Ein weiterer Standplatz Richtung La Paz ist an einer Art "Rasthof" (hört sich offiziell an, haben wir aber nur mit GPS Koordinaten gefunden). Nachts durften wir dort dank nettem Besitzer völlig kostenlos stehen, tagsüber halten hier die Überlandbusse und je 50 Leute schwärmen aus, um ihr (ja: großes!) Geschäft in die Landschaft zu setzen und 1 Boliviano (ca. 15 Cent) Toilettengeld zu sparen. Nun, bei 5 Bussen pro Tag ein ganz schönes Minenfeld... (Wie das "papierlos" geht, fragen wir uns auch unter Kurioses).
An einer der zahllosen Polizeikontrollen mache ich den Fehler, meinen Originalausweis herauszugeben (alte Regel: nur Kopien zeigen). Nun hat der Polizist leichtes Spiel, schleicht ums Auto und da wir 2 Warndreiecke, Verbandskasten und Feuerlöscher dabei haben, bleibt noch der kleine Riss in der Frontscheibe (jeder hier, auch die Polizeiautos haben Steinschläge in der Scheibe). Dieser kostet angeblich eine Strafe. Ich soll dem Beamten in sein Kämmerlein folgen, er schließt die Tür und erklärt, dass wir uns ggf. auch unbürokratisch und viel schneller einigen könnten. Schließlich leiste ich einen Beitrag für "unterbezahlte Polizisten Boliviens", bekomme meinen Ausweis wieder und habe meine Lektion gelernt.
In La Paz kehren wir beim legendären schweizer Hotel Oberland ein und treffen das erste Mal seit sechs Wochen mehrere andere deutsche Reisende, die mit eigenem Auto unterwegs sind (der Gelbe allein unter Allradlern). So können wir uns ausführlich über Strecken, Stellplätze, Tipps und Tricks, technische Reparaturen, Gasbeschaffung, etc. austauschen. Welch ein Luxus, abends am Kamin Zürcher Geschnetzeltes, Spätze und ein Erdinger Kristall zu genießen! (geschlafen wird natürlich trotzdem im Gelben). Jonas gefällt es auch, Pool und Spielplatz sei dank.
Weiter gehts nach Norden in den Ferienort Copacabana an den Titicacasee nahe der peruanischen Grenze. Es haben gerade Ferien in Bolivien und Peru begonnen und außerdem ist in vier Tagen Unabhängigkeitstag. Da kann man schon mal anfangen zu feiern - natürlich auf der Hauptstraße, die uns aus La Paz herausbringen soll. Es ist so ähnlich wie Kölner Karneval mit zahllosen Paraden, nur ohne Organisation oder Umleitung. Wir stehen also mit dem Gelben mittendrin.
In den Orten nördlich von La Paz die berüchtigten Strohpuppen an den Laternenmasten. - Nichts karnevalistisches, sondern Hinweis und Warnung auf die von den Dorfgemeinschaften praktizierte und vom Staat geduldete Lynchjustiz. "Wer klaut, hängt". Also schön artig bleiben.
In Copacabana schließlich buntes Treiben am Ufer des Titicaca-Sees, bunt geschmückte Autos, Musik, zahllose Essensstände, Tretbootverleih (wer kann schon behaupten, mit 'nem Tretboot auf dem Titicacasee gefahren zu sein??). Bolivien ist wirklich bettelarm und fast niemand ist mit "Freizeit" oder "Vergnügen" beschäftigt. In Copocabana ist dies das erste Mal anders.
Auch die Einreise nach Peru am nächsten Tag war ein Erlebnis, siehe Peru.